07.03.2024
«Es war schön, wieder in die Schweiz zurückzukommen. Vor allem im Winter, da ich den Winter gerne mag. Ich war häufig in Ländern, wo es jeden Tag 40 Grad heiss war. Das war schrecklich.» Zoë ist heute 19 Jahre alt und lebt mit ihrem Vater in Tentlingen, einem kleinen Dorf im Freiburger Senseoberland.
2004 in der Schweiz geboren, lebte sie ab 2011 bis 2016 mit ihrer Mutter und jüngerem Bruder in Australien. Nach einem halben Jahr zurück in der Schweiz, verbrachten sie zusammen anschliessend fünf Jahre auf Weltreise, auf welcher sie insgesamt 18 Länder besuchten. In dieser Zeit bestand ihr Gepäck gerade mal aus zwei Rucksäcken, erzählt Zoë im Gespräch. «Wir hatten nur die Dinge, die man am dringendsten braucht. Kleider und so Sachen, nichts anderes. Es ist einfacher, mit wenig zu reisen.» Der grösste Unterschied zu früher sei jedoch nicht der minimale Lebensstil, sondern die Routine. «Hier sind die Tage ähnliche», meint sie in Bezug auf ihren früheren Tagesablauf.
Vor etwas mehr als einem Jahr kehrte Zoë aus dem Ausland zurück, um in der Schweiz eine Lehre zu absolvieren. Momentan absolviert sie dafür das 10. Schuljahr am Feusi Bildungszentrum in Bern. Wieder eine Routine zu finden sei für sie nicht schwierig gewesen. Die Rückkehr gestalte sich aber trotzdem nicht ganz ohne Hürden, erzählt sie im Interview.
«Da ich viel Schule verpasst hatte, war ich auch ein wenig im Rückstand in ein paar Fächern, vor allem in Mathematik. Daher musste ich ein bisschen mehr lernen, um das gleiche Niveau wie die anderen in der Klasse zu erreichen», erklärt sie ruhig und gelassen. Nach einem Jahr in der Schweiz spricht sie wieder akzentfrei Deutsch, erwähnt aber schmunzelnd, dass nach ihrer Rückkehr sicherlich eine sprachliche Barriere da war: «Mein Berufsberater hat mir gesagt, am Anfang hätte ich wie eine Ausländerin Schweizerdeutsch gesprochen. Ich hatte einen Akzent und habe nicht so viele Sachen verstanden.»
Obwohl sie schulisch viel verpasst hat, liegen die grössten Hürden aber nicht unbedingt im Klassenzimmer. «Andere in meinem Alter sind schon viel weiter als ich. Entweder haben sie bereits eine Lehre oder das Gymnasium abgeschlossen oder sind an der Uni oder so. Daher bleibt trotzdem das Gefühl, dass ich zu weit hinter ihnen bin», erklärt Zoë.
Obwohl in der Regel das Thema gesellschaftlich nicht gerne angesprochen wird, verunmöglichen zwar Lücken in der obligatorischen Schulzeit nicht die Aufnahme einer Lehre, mindern aber die Chancen auf eine Berufslehre mit höheren schulischen Anforderungen. Dies lässt sich aus Informationen des Schweizerischen Dienstleistungszentrum Berufsbildung (SDBB) erschliessen. Die Chance, den Übergang in die Sekundarstufe II trotzdem zu schaffen, hänge meistens von verschiedenen Faktoren ab, erklärt Marcel Widmer, Berufsberater des Feusi Bildungszentrums. Wichtige Faktoren seien unter anderem die Art und der Umfang der Lücken, individuelle Fähigkeiten sowie die Bereitschaft, den verpassten Stoff aufzuholen. Unterstützende Massnahmen wie Nachhilfe oder Brückenangebote, spezielle Förderungsprogramme, aber auch alternative Bildungswege könnten die Chancen verbessern.
Genaue Angaben dazu, wie viele Schweizerinnen und Schweizer den Volksschulabschluss jährlich nicht abschliessen, gibt es leider nicht. Dies bestätigt auch der langjährige Berufsberater: «Die Schulabbruchquote kann je nach Kanton unterschiedlich ausfallen und es gibt keine einheitliche nationale Statistik, die solche Daten genau erfasst.» Schätzungsweise seien es pro Jahr wenige hundert Personen, welche das obligatorische Schulsystem vorzeitig verlassen, erklärt Marcel Widmer.
Obwohl dies auf die gesamte Schweizer Bevölkerung gesehen nur einen sehr kleinen Teil ausmacht, kann man hier nicht von Einzelfällen sprechen. Dies zeigt ebenfalls das vorhandene Angebot zum Nachholen des Volksschulabschlusses auf. Es existieren unterschiedliche Optionen, wie zum Beispiel die Organisation «Link zum Beruf» in Basel oder das Angebot des Kantons Zürich, welches damit wirbt, dass Erwachsene sowohl einen Schulabschluss als auch einen Berufsabschluss nachholen können. Es gäbe aber auch Brückenangebote wie das 10. Schuljahr oder eine Vorlehre, erklärt Marcel Widmer: «Die Verfügbarkeit solcher Angebote variiert jedoch je nach Region und es kann Unterschiede in der Qualität und Quantität der verfügbaren Ressourcen geben. Sogar für das staatliche 10. Schuljahr gibt es eine begrenzte Anzahl Plätze.» Je nach Fall seien es aber auch finanzielle oder logistische Hindernisse, welche den Zugang zu solchen Bildungsangeboten erschweren oder schlimmstenfalls sogar verunmöglichen. «Es ist wichtig, dass Bildungseinrichtungen und staatliche Stellen zukünftig vermehrt Massnahmen ergreifen, um den Zugang zu Bildung für alle Bevölkerungsgruppen zu erleichtern.», ergänzt Marcel Widmer.
Auch Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen dieses Bedürfnis auf. Etwas über 20 % der 25-74-jährigen ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz konnte die obligatorische Schulzeit gar nicht oder nicht wie gewünscht beenden.
Zoë jedenfalls hat genaue Pläne fürs nächste Jahr. Ihr Ziel sei es, möglichst bald eine Lehrstelle als Informatikerin oder Mediamatikerin zu finden, um nächsten Herbst ihre Ausbildung beginnen zu können.
Was nachher geschieht, weiss auch sie noch nicht. «Ich glaube nicht, dass ich nochmals so viel reisen werde. Ich habe schon viel von dem hinter mir.» Ganz aufs Reisen möchte sie aber trotzdem nicht verzichten, fügt sie abschliessend noch hinzu: «Es gibt sicher ein paar Lieblingsorte, welche ich nochmals sehen möchte. Jedoch als einzelne Ferien, also nicht an einem Stück.» Und auch beruflich zieht es Zoë vielleicht nochmals in die Ferne. Später würde sie gerne für zwei Jahre in Japan arbeiten: «Japan war mein Lieblingsland auf unserer Reise.»
Autoren: Marcel Widmer, Berufs- und Studienberater, Joél Schaller, Student HKB (Hochschule der Künste Bern)
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